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Die Essstörung

Wissenswertes zum Thema "Essstörung"

Die Essstörung


Mit Essstörung bezeichnet man eine Verhaltensstörung mit meist ernsthaften und langfristigen Gesundheitsschäden. Zentral ist die ständige gedankliche und emotionale Beschäftigung mit dem Thema „Essen“. Sie betrifft die Nahrungsaufnahme oder deren Verweigerung und hängt mit psychosozialen Störungen und mit der Einstellung zum eigenen Körper zusammen (Psychosomatik).

Wirkmechanismen

Medizinisch handelt es sich meist um eine Störung der Energiebilanz:

* zu hohe Energiezufuhr bei zu geringem Energieverbrauch, z. B. durch mangelnde Bewegung, führt zu Übergewicht durch dauerhafte Plusbilanz
* zu geringe Energiezufuhr bei relativ zu hohem Energieverbrauch führt zu Mangelernährung durch dauerhafte Minusbilanz
* falsche Ernährung führt zu Vitaminmangel, Mineralmangel und zu einer Störung des Elektrolythaushalts im Körper

Physiologische Regelmechanismen können den Energieumsatz des Körpers über einen gewissen Zeitraum und in begrenzten Ausmaßen an das Energieangebot anpassen. Im Falle des Energiemangels werden Stoffwechselregulationen eingesetzt, um z. B. vorhandene Energievorräte effizienter auszunutzen und Energie einzusparen.


Hauptformen

Die bekanntesten, häufigsten und anerkannten Essstörungen sind die unspezifische Ess-Sucht, die Magersucht (Anorexia Nervosa), die Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa) und die Fressattacken (englisch „Binge Eating“). Die einzelnen Störungen sind nicht klar voneinander abgrenzbar. Oft wechseln die Betroffenen von einer Form zur anderen und die Merkmale gehen ineinander über und vermischen sich. Zentral ist immer, dass die Betroffenen sich zwanghaft mit dem Thema Essen beschäftigen. Bei allen chronisch gewordenen Essstörungen sind lebensgefährliche körperliche Schäden möglich (Unterernährung, Mangelernährung, Fettleibigkeit). Frauen sind verstärkt betroffen. Bei ihnen treten auch Störungen im Menstruationszyklus auf, bis zum totalen Aussetzen der Menstruation (Amenorrhoe).

Die Übergänge zwischen „normal“ und „krankhaft“ sind von vielen Faktoren abhängig. Ein Mensch, der aus religiösen oder ideologischen Gründen besondere Ernährungsformen pflegt, ist nicht unbedingt essgestört. Manche Ess-Süchtige sind körperlich und in ihrem Verhalten völlig unauffällig - die Sucht spielt sich bei ihnen ausschließlich im Kopf ab.


Esssucht


Esssüchtige essen zwanghaft und denken dauernd an „Essen“ und an die Folgen für ihren Körper. Sie essen entweder zu viel oder sie kontrollieren ihr Gewicht mit komplizierten Systemen von Essen, Diäten, Fasten und Bewegung.

Esssucht führt häufig zu Übergewicht oder Fettleibigkeit (Adipositas), mit den zugehörigen gesundheitlichen und sozialen Problemen. Übergewichtige fühlen sich oft als Versager und Außenseiter. Fehlernährung kann zu zusätzlichen Problemen führen.


Magersucht


Magersucht (Anorexia nervosa) ist durch einen absichtlich und selbst herbeigeführten Gewichtsverlust gekennzeichnet. Durch Hungern und Kalorienzählen wird versucht, dem Körper möglichst wenig Nahrung zuzuführen, durch körperliche Aktivitäten soll der Energieverbrauch gesteigert werden. Die betroffene Person sieht dabei den eigenen körperlichen Zustand häufig nicht, sie empfindet sich als zu dick, auch noch mit extremem Untergewicht (Körperschemastörung).

Folgen der Magersucht sind Unterernährung, Muskelschwund und Mangelernährung. Langzeitfolgen sind beispielsweise Osteoporose und Unfruchtbarkeit. 5 bis 15 % der Betroffenen sterben, meist nicht durch eigentliches Verhungern, sondern durch Infektionen des geschwächten Körpers oder durch Suizid.


Ess-Brech-Sucht


Bei der Ess-Brech-Sucht (Bulimie, Bulimia nervosa) sind die Betroffenen meist normalgewichtig, haben aber große Angst vor der Gewichtszunahme, dem "Dickwerden"; man kann das als "Gewichtsphobie" umschreiben. Sie ergreifen deshalb ungesunde Gegenmaßnahmen wie Erbrechen, exzessiven Sport, Abführmittelgebrauch, Fasten oder Einläufe. Dadurch kommt der Körper in einen Mangelzustand und es kommt zu so genannten Ess-Attacken, wobei große Mengen Nahrung auf einmal verzehrt werden. Neben diesen Heißhunger-bedingten Fressattacken kommt es noch zu stressbedingten. Das Überessen und Erbrechen wird häufig als "entspannend" erlebt.

Die Ess-Brech-Sucht kann zu Störungen des Elektrolyt-Stoffwechsels, zu Entzündungen der Speiseröhre, zu Zahnschäden sowie zu Mangelerscheinungen führen. Da durch einen gestörten Elektrolythaushalt das Herz angegriffen werden kann, kann es zu Herzversagen und somit zum Tod kommen, insbesondere wenn die Ess-Brech-Sucht noch mit Untergewicht einher geht.
Binge Eating

Fressattacken treten im Zusammenhang mit suchtartigen Heißhungergefühlen auf, wobei der Suchtcharakter der Essstörung umstritten ist. Von Binge Eating wird gesprochen, wenn während mindestens sechs Monaten an zumindest zwei Tagen pro Woche ein Anfall von Heißhunger auftritt, bei dem in kürzester Zeit ungewöhnlich große Mengen an Nahrungsmitteln aufgenommen werden. Der Betroffene verliert die Kontrolle über die Nahrungsaufnahme.

Außerdem müssen mindestens drei der folgenden sechs Diagnosekriterien zutreffen:

* essen, ohne hungrig zu sein
* besonders schnelles Essen
* essen, bis ein unangenehmes Gefühl einsetzt
* allein essen, um Gefühle von Schuld und Scham zu vermeiden
* die Ess-Anfälle werden als belastend empfunden
* nach dem Ess-Anfall treten Gefühle von Ekel, Scham oder Depressionen auf

Obwohl die Essattacken jeweils nur kurz dauern, kann BED (Binge Eating Disorder) zu Adipositas führen. Von der Bulimie unterscheidet sich BED durch die ausbleibenden Maßnahmen, eine Gewichtszunahme durch Erbrechen, Intensivsport oder Fasten zu verhindern.
Pica-Syndrom

Das Pica-Syndrom (auch: Picazismus) ist ein psychiatrisches Symptom und kommt auch bei Menschen mit geistiger Behinderung oder Demenz vor. Die Störung ist eher selten und ist keine Essstörung im eigentlichen Sinne. Menschen essen dabei ungewöhnliche Dinge, zum Beispiel Papierschnipsel, Gartenerde, Ton, Tafelkreide oder Kot (Koprophagie). Es kann dabei unter anderem zu Vergiftungen, Unterernährung oder Verstopfung führen. Auch bei sonst harmlosen Materialien kann es zu Infektionen oder Vergiftungen kommen.

Bei Babys und kleinen Kindern ist es normal, dass sie buchstäblich alles in den Mund nehmen (manchmal auch aus Trotz). Nur bei unterschiedslosem und regelmäßigem Aufessverhalten besteht möglicherweise Anlass, auf Pica-Syndrom zu untersuchen.


Orthorexia nervosa


Orthorexia nervosa bedeutet krankhaftes Gesund-Essen. Betroffene verbringen mehrere Stunden täglich damit, zwanghaft Vitamingehalt und Nährwerte zu berechnen und Lebensmittel auszuwählen, wobei sich die Auswahl der „erlaubten“ Lebensmittel immer mehr verringert. Folgen sind Unterernährung, Mangelernährung und soziale Isolation. Die Betroffenen zeigen teilweise Angst vor Lebensmitteln, die sie für ungesund halten. Die Orthorexie zeigt durch den Missionierungsdrang und die kognitiv nicht zugängliche Symptomatik auch Merkmale einer Wahn- oder Zwangsstörung.


Anorexia athletica


Durch übermäßigen Sport und den damit verbundenen Kalorienverbrauch versuchen die Erkrankten, Gewicht zu verlieren. Diese Störung ist als Sport-Sucht bekannt und wird als Begleitstörung einer Ess-Sucht beobachtet. Als eigenständiges Krankheitsbild ist sie nicht anerkannt.

Seit den 1980er und 1990er Jahren wurde von einem gehäuften Auftreten von Essstörungen bei Leistungssportlern berichtet. Federführend dabei waren Untersuchungen vom Norweger Sundgot-Borgen. Der Begriff Anorexia Athletica wird 2004 in einer Arbeit des Grazers Sudi als solcher genannt. Gemeint ist eine Form von Essstörungen, die nicht alle Merkmale einer echten Anorexia nervosa erfüllt und diagnostisch deshalb als atypische Anorexia nervosa (ICD-10) oder als EDNOSs (DSM-IV) eingeordnet wird. Charakteristisch ist eine zu geringe Zufuhr an Kalorien, die zu schweren Gesundheitsproblemen führt. (unter anderem Abnahme der Knochendichte, Knochenbrüche und Amenorrhoe).


Fütterstörungen im frühen Kindesalter, Rumination und Erbrechen


Schon Babys und kleine Kinder können Essstörungen entwickeln, allerdings in anderer Ausprägung als beim Erwachsenen.

In der ICD-10-Klassifikation werden unter der Chiffre ICD-10 P92 die Ernährungsprobleme beim Neugeborenen aufgelistet, wie etwa Erbrechen beim Neugeborenen (ICD-10 P92.0), Regurgitation und Rumination (wiederholtes Hinaufwürgen von Flüssigkeit oder Nahrung) (P92.1), Trinkunlust beim Neugeborenen (P92.2), Unterernährung beim Neugeborenen (P92.3), Überernährung beim Neugeborenen (P92.4), Schwierigkeiten beim Neugeborenen bei Brusternährung (P92.5) und weitere.

Die ICD-10-Chiffre ICD-10 F98.2 bezeichnet eine Fütterstörung im frühen Kindesalter mit unterschiedlicher Symptomatik. Es kommt beispielsweise zu Nahrungsverweigerung bzw. zu extrem wählerischem Essverhalten bei ausreichendem Angebot an Nahrung, ohne dass eine organische Krankheit vorliegt. Begleitend kann Rumination (wiederholtes Hinaufwürgen von Essen ohne Übelkeit oder eine Krankheit des Verdauungstraktes) vorhanden sein. Auch im frühen Kindesalter kann es zu einer Essstörung kommen. Nach der Definition nach ICD - 10 (F 98.2) spricht der Mediziner von einer Fütterstörung mit unterschiedlicher Symptomatik. Das Kind verweigert die Nahrung und zeigt wählerisches Essverhalten. Dieses Krankheitsbild kann mit evtl. Rumination oder einer gastrointestinalen Krankheit begleitet werden. Die Essstörung beginnt vor dem 6. Lebensjahr und ist nicht durch andere psychische Ursachen oder Nahrungsmangel erklärbar. Diese Störung kann genetische, psychische, motorische, mentale Störungen zur Ursache haben. Im Mittelpunkt steht die Unlust, Weigerung, oder Unfähigkeit des Kindes, die angebotene Nahrung aufzunehmen. Somit kann eine dysfunktionale Fütterinteraktion zwischen Mutter und Kind entstehen. Daraus resultiert ein Überlastungssyndrom der Bezugsperson mit fehlender Wahrnehmung der kindlichen Signale und Verstärkung des Problems. Oft wird eine Sondierung zur Nahrungsaufnahme beim Kind eingesetzt. Diese sollte bis zu zwei Jahren nicht ausschließlich angewandt werden, da es sonst zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen kann (z. B. mangelnde mundmotorische Erfahrung, sensorische Störung, erhöhte Reflux-Gefahr nach PEG, erschwerte Ausbildung des Hungergefühls).


Therapie


Essstörung

Erfolgreiche Behandlungen gehen meist von einem multimodalen Ansatz aus. Das bedeutet, dass unterschiedliche Behandlungsstrategien gleichzeitig eingesetzt werden. Im Zentrum steht meist eine Psychotherapie. Hierbei können sowohl kognitive aber auch psychodynamische Therapien eingesetzt werden. Bei manchen Essstörungen haben sich auch familientherapeutische Behandlungsprogramme als sinnvoll erwiesen. Bei Kindern und Jugendlichen ist eine Beratung und Psychoedukation der Eltern immer notwendig. Gleichzeitig kann ein Ernährungsprotokoll geführt werden. Bei bestimmten Essstörungen ist ein regelmäßiges Wiegen notwendig. Aber auch Unterstützung bei einer ausgewogenen Ernährung. Auch eine medikamentöse Therapie ist in manchen Fällen hilfreich. Hierbei werden bei Anorexie und Bulimie zumeist Antidepressiva eingesetzt. Eine medikamentöse Therapie ist allein meist aber nicht hilfreich. Auch ist die Vermittlung von Therapiepogrammen in Selbsthilfegruppen hilfreich.

Wenn die ambulante Behandlung keinen Erfolg bringt, ist zumeist eine stationäre oder teilstationäre Behandlung erforderlich. Insbesondere bei Anorexie ist eine stationäre Behandlung als lebenserhaltende Maßnahme notwendig,

* wenn ein kritisches Untergewicht erreicht ist und/oder
* wenn körperliche Folgeschäden zu erwarten sind, etwa bei zu geringer Flüssigkeitszufuhr oder bei häufigem Erbrechen.

Übergewicht und Untergewicht

Über- oder Untergewicht sind eigenständige Krankheitsbilder und in über 95 % aller Fälle die Folge einer falschen Energiebilanz als Verhältnis von Essen und Bewegung. Zur Therapie siehe: Adipositas, Ernährungsumstellung und Ernährungslehre.
Medizinische Einordnung und Forschung
Essstörungen werden zu den Zivilisationskrankheiten gezählt.


Diagnostik

Die Diagnostik der Störungen erfolgt durch die Befragung des Patienten und über Fragebögen. Unter- und Übergewicht und Adipositas werden mit dem Body-Mass-Index und anderen Kennzahlen gemessen.


Kategorisierung

Krankheiten werden im deutschsprachigen Raum nach den diagnostischen Leitlinien der ICD-10 kategorisiert. ICD-10 ist eine beschreibende Sammlung von Symptomen und hat wenig mit dem Stand der Forschung und klinischer Theorie zu tun. Essstörungen sind dort nur teilweise beschrieben: Im Kapitel sind nur die Bulimie und die Anorexie eindeutig erfasst. Die meisten Patienten zeigen Verhaltensweisen aus verschiedenen Formen der Essstörungen und fallen dadurch unter „Sonstige Essstörungen“, werden aber oft der Einfachheit halber unter Bulimie oder Anorexie verschlüsselt.
Ess-Sucht: F50, F50.3, F50.4, F50.8 eingeordnet, oft in Verbindung mit E66
Magersucht: F50.0, auch in Verbindung mit F50.5
Ess-Brech-Sucht: F50.2, oft in Verbindung mit F50.3 und F50
Binge Eating: in ICD-10 nicht erwähnt, in der amerikanischen DSM-IV Kandidatenstatus
Alle anderen Störungen werden unter „Sonstige Essstörungen“ F50.8 oder F50.4 codiert. Sie werden in der Praxis oft durch Kombination mit Schlüsseln anderer Erkrankungen umschrieben.


Häufigkeit und Folgen

Da die Formen der einzelnen Essstörungen oft ineinander übergehen und sich vermischen, sind sie schwer zu trennen. Deshalb sind einzelne Zahlen mit Vorsicht zu betrachten.

* Hier einige Zahlen für Deutschland:
o Magersucht: etwa 100.000 Menschen sind betroffen. 90 % der Betroffenen sind Frauen zwischen 15 und 35 Jahren. 10 % sind Männer. Essstörungen bei Männern sind bisher noch wenig erforscht.
o Ess-Brech-Sucht: etwa 600.000 Menschen sind betroffen.
o Binge Eating: etwa 2 % der Bevölkerung ist betroffen, wäre damit die häufigste Essstörung.

* Eine Studie des Robert Koch-Instituts mit über 17.000 Teilnehmern zwischen elf und 17 Jahren zeigte bei fast 30 % der Mädchen Essstörungen wie Magersucht, Ess-Brech-Sucht oder Fettsucht. Bei Jungen waren noch 15 % betroffen. Außerdem waren der Studie zufolge Kinder aus sozial benachteiligten Familien fast doppelt so häufig betroffen wie Kinder aus der oberen sozialen Schicht.

* In einer österreichischen Studie (2006) über Essstörungen bei Models fand sich eine Prävalenzrate essgestörten Verhaltens von 11,4% der befragten Personen, über 40% machten zum Untersuchungszeitpunkt eine Diät.

* Die Adipositas ist in einem Teil der Fälle Folge einer Essstörung und stellt in ihrer Gesamtzahl ein weltweit zunehmendes Problem dar. So sprechen die Weltgesundheitsorganisation und die CDC inzwischen von einer globalen Epidemie bzw. Pandemie, die ebenso ernst genommen werden sollte wie jede zum Tode führende Infektionskrankheit. Weltweit leben rund eine Milliarde Menschen mit starkem Übergewicht (WHO). Sollte sich dieser Trend fortsetzen, wird die Zahl der übergewichtigen Menschen innerhalb der nächsten 10 Jahren auf 1,5 Milliarden ansteigen. Die gesundheitlichen, finanziellen und volkswirtschaftlichen Folgen von Übergewicht sind enorm.


Quelle: www.wikipedia.de
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